Dissvorhaben

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lollalolla
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 25.05.2015
Beiträge: 24

BeitragVerfasst am: 28. Sep 2015 19:49    Titel: Dissvorhaben Antworten mit Zitat

Liebe Community,

ich habe eine eher ungewöhnliche Frage, dennoch seid ihr meine erste Anlaufstelle, denn ich habe keine Kontakte in der hiesigen Szene und möchte erstmal auch keine knüpfen.

Im Rahmen meiner Doktorarbeit möchte ich den europäischen Heroinkonsum seit dem Zweiten Weltkrieg historisieren - leitend für mich ist die Frage nach dem Umgang mit den Süchtigen und ihrem Bild in der Gesellschaft. Daher richtet sie sich primär an die etwas älteren unter euch (vor allem an diejenigen, die in den 70ern, 80ern oder 90ern aktiv in der Szene unterwegs waren).

Für mich sind drei Fragen wichtig und würde mich sehr auf etwas ausführlichere Antworten freuen:

1. Habt ihr jemals euren Konsum als eine Art Rebellion gegen die bestehende Ordnung (oder aber Konsumkultur, Empathielosigkeit, strukturelle Gewalt usw.) empfunden?

2. Habt ihr euch selbst als Teil einer Gegenkultur oder einer festen Gruppe begriffen oder habt ihr die Szene eher als eine Art ("Überlebens-)Netzwerk?

und

3. Wie sah euer Verhältnis zur Gesellschaft aus? Habt ihr euch zum Beispiel jemals wie eine Art "Verräter" an ihren Werten gefühlt oder wurde euch diesen Eindruck stark vermittelt?

Ich werde niemanden in der Arbeit zitieren, denn ich arbeite primär mit meinem Quellenmaterial, dennoch würde ich mich sehr auf Antworten freuen - ich möchte in erster Linie sehen, ob das, was mir mein Material und mein komplett erfahrenes Bauchgefühl sagt, irgendwie Berührungspunkte mit der Realität involvierter Personen hat.

Sollten meine Fragen jemanden stören, verletzten oder als unangemessen erscheinen - entschuldigt bitte.

Liebe Grüße,
L.
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Los Fritzos
Gold-User
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Anmeldungsdatum: 08.09.2015
Beiträge: 982

BeitragVerfasst am: 28. Sep 2015 22:00    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe die Szene in den 90ern erlebt

Die ersten beiden Fragen kann ich nur kurz beantworten: NEIN

Die dritte Frage ist etwas länger zu beantworten:

Heroinabhängig sein hieß ein Außenstehender der Gesellschaft zu sein. Die Leute kannten nur das Bild vom Fixer mit Pumpe im Arm, der auf einer Toilette liegt. Dieses Bild wurde auch immer wieder vermittelt.
“Wer Heroin nimmt, muss sich prostituieren, hat AIDS und bringt kleine Schulkinder drauf.“
Mit solchen Vorurteilen musste man damals leben. Es gab kaum Leute, die sich etwas besser auskannten. Heroin war für die Leute wie bei Christiane F.
Ich fühlte mich von allen Leuten verachtet und das wurde ich auch. Heroin wurde nicht als Krankheit akzeptiert. Man war einfach nur widerlicher Abschaum, mehr nicht.
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Praxx
Foren-Guru
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Anmeldungsdatum: 25.07.2014
Beiträge: 3203

BeitragVerfasst am: 28. Sep 2015 22:33    Titel: Antworten mit Zitat

Ende der 60er, Anfang der 70er gab es in Deutschland so gut wie gar kein Heroin, allenfalls im Umfeld der US-Kasernen, wo Heroin-erfahrene Vietnamsoldaten quasi "auf Urlaub" waren. Bis ca. 1972 versorgten sich "Fixer" überwiegend aus Apothekenaufbrüchen, in ländlichen Apotheken mit reichlichem Großtierbestand im Umfeld gab es oft erstaunliche Mengen an Morphin in großen Blöcken, "Opium pulvis" und auch Dilaudid (Hydromorphon) in Standgläsern mit über 100 Gramm, selbst Kokainhydrochlorid in diesen Mengen.
Dazu kamen kleine "Importe" von Rohopium und Opiumtinktur aus der Türkei im Reisegepäck.
Ab Anfang der 70er tauchte dann der H-Vorläufer "Berliner Tinke" auf, ein unsägliches, nach Essig stinkendes Gebräu, das sich nur die ganz hartgesottenen ballern mochten.

Die Fixer bis ca 1972 fühlten sich als besonders exklusiver Club, oft aus sehr gutem Haus, Fixen war eine besonders exklusive Form der Rebellion gegen Eltern und Gesellschaft. Die Verbreitung des Fixens in der "Unterschicht" wurde damals überwiegend als unangenehm empfunden - plötzlich tauchten linke Vögel und Gewalt in der Szene auf...

Ich hab das damals im "sozialen Nahbereich" miterlebt - der damalige "Szenekontakt" hat schließlich kalt abgekickt, erfolgreich studiert und genießt heute eine fette Pension eines namhaften Automobilherstellers (ohne jemls eine Therapie gemacht zu haben).

LG

Praxx
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lollalolla
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 25.05.2015
Beiträge: 24

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 00:12    Titel: Antworten mit Zitat

Vielen Dank für die Antworten!

@Praxx, die Akten, die ich mir bisher angeschaut habe, schildern ähnliche Sachverhalte. Allerdings scheint mir auch von Ort zu Ort etwas unterschiedlich: während die Polizei in Berlin anscheinend schon ziemlich früh ziemlich hart durchgegriffen hat, war wohl in Hamburg die Akzeptanz-grenze etwas höher, das werde ich aber noch herausfinden. Smile

Ich habe jedoch zwei (für mich) sehr wichtige Fragen an dich: wenn es um Gewalt geht, glaubst du, dass diese erst durch das staatliche/institutionelle Eingreifen kam oder war sie in der Szene selbst durch die Art der Substanzen schon vorprogrammiert bzw. bereits im hohen Maße vorhanden?

Glaubt ihr insgesamt, dass die Diskriminierung von H-Abhängigen eigentlich was mit ihrer Selbstorganisation zu tun hat? Denn vor den 70ern gab es wohl kaum soz. Aufschrei bzw. institutionelle Handlungen, obwohl die Zahl der Süchtigen gar nicht klein gewesen sein darf (naja, jede Menge ex-Soldaten in den 50ern und ihre Kinder, aber keine Szene).

@Los Fritzos: ehrlich gesagt, finde ich die Krankheitsthese auch nicht unproblematisch. In der Gesellschaft (und zwar überall, nicht nur in Deutschland oder in Westeuropa) existiert dieses Bild eines nicht zur Vernunft fähigen Süchtigen. Und ich glaube, dass dieses Bild auch die Süchtigen selbst prägt. Ohne jedoch jemals Opiate konsumiert zu haben... Jedenfalls glaube ich, dass dieses Image vorhanden ist, um die Unzuverlässigkeit von Abhängigen deutlicher zu machen und ihnen zugleich einen kleinen Trost zu spenden - eigentlich können sie wenig dafür, sie haben es außer Kontrolle. Ich weiß es nicht, hast du dich jemals mit der Szene identifiziert?

Ich würde mich wirklich um mehr Erfahrungsberichte freuen... Danke!
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mattfällt
Silber-User
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Anmeldungsdatum: 19.05.2013
Beiträge: 237

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 02:54    Titel: Antworten mit Zitat

Die iatrogenen morphinisten die nach dem zweiten Weltkrieg, wie nach jedem Krieg, seit Erfindung der pravaz spritze noch bis in die 60er existierten, starben dann langsam aus. Zudem lebten sie unauffällig und sozial integriert, ebenso der Rest an Süchtigen zu dieser Zeit, die meist medizinischen berufen angehörten und somit ebenfalls unauffällig und gut versorgt leben konnten.

Die zumeist jugendlichen Konsumenten ab ende der sechziger waren ja etwas völlig anderes. Drogenkonsum wurde offensiv zur schau gestellt, war subkulterell Identitätsstiftend, wurde im zuge einer gegenkultur(studentenbewegung) demonstrativ genutzt um herrschende politische und gesellschaftliche strukturen zu hinterfragen.


Die repressive Verschärfung des Opiumgesetz durch Einführung (1971) und Novellierung(1982) des btmg war ja ähnlich wie in den zwanziger Jahren schon Implementierung internationaler Gesetzgebung, mystifizierung von Substanzen, marginalisierung sowie Stigmatisierung von Konsumenten im Wechselspiel von moralunternehmern und vor allem von Tages/Fachpresse und Politik. Eine Politik, die zum einen im Interesse von Machterhalt und Aufrechterhaltung bestehender gesellschaftlicher Werte und Normen handelte und ein wachsender repressions Apparat der sich selbst legitimieren muss- bis heute.

Ließ mal Sebastian scheerer z.b. 1982 zur genese der Betäubungsmittel Gesetzgebung. Oder Monika Hoffmann zur Etablierung eines sozialen Problems (allerdings bezogen auf Weimarer Republik aber sehr interessant). Quensel und stöver sind gut, zur Entstehung akzeptierender drogenhilfe 80er/90er.


Sorry. Handy getippe. Fehler, groß und Klein und so und müde auch Wink
Hoffe kannst trotzdem was mit anfangen
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mattfällt
Silber-User
Silber-User


Anmeldungsdatum: 19.05.2013
Beiträge: 237

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 02:59    Titel: Antworten mit Zitat

Annika Hoffman heißt die gute. Annika!

Wie ist dein genaues Thema und was studierst du wenn ich fragen darf ?
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lollalolla
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 25.05.2015
Beiträge: 24

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 03:41    Titel: Antworten mit Zitat

Hey, mattfällt, danke für die Zusammenfassung des Forschungsstandes, die meisten Arbeiten habe ich jedoch selbst schon gelesen... Ich interessiere mich in diesem Fall wirklich um die subjektiven Erfahrungen von Konsument*innen. Das Fach ist Zeitgeschichte, den Titel möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten, hängt mit den Antragsmodalitäten zsm.
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lollalolla
Bronze-User
Bronze-User


Anmeldungsdatum: 25.05.2015
Beiträge: 24

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 03:42    Titel: Antworten mit Zitat

Hey, mattfällt, danke für die Zusammenfassung des Forschungsstandes, die meisten Arbeiten habe ich jedoch selbst schon gelesen... Ich interessiere mich in diesem Fall wirklich für die subjektiven Erfahrungen von Konsument*innen. Das Fach ist Zeitgeschichte, den Titel möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten, hängt mit den Antragsmodalitäten zsm.
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Wu Zi Mu
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 22.09.2015
Beiträge: 64

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 10:15    Titel: Antworten mit Zitat

@Lolla
lustig, als ich die Überschrift gelesen habe war mein erster Gedanke "wie krass, jetzt kündigen die Leute es schon vorher an, wenn sie hier rumpöbeln wollen" Shocked

Zu Deinen Fragen, kann ebenfalls nur für die 90er sprechen:

1)Jein. Rebellion nicht wirklich, niemand in meinem Umfeld hat daran geglaubt, dass sich die Verhältnisse ändern werden, weil man Drogen konsumiert. Aber so als Abgrenzungsmerkmal oder stillen Protest vielleicht. wobei die ausschlaggebenden Gründe für den Konsum eindeutig hedonistischer Natur waren.
das galt aber nicht nur für Heroin sondern insbesondere auch für Cannabis.

2)Die HartDrogenszene war nach meiner Erfahrung vorwiegend Mittel zum Zweck. Klar gab es auch Solidarisierungseffekte (wenn mal alle gut drauf waren) aber Gegenkultur würde für mich bedeuten, dass es zumindest sowas wie die Idee einer gemeinsamen "Vision" o.ä. gegeben hätte, das habe ich so aber nicht erlebt. habe da eingekauft und bin meist schnell wieder weg.
Auch später, als ich mit der Szene aus einem Arbeitskontext heraus zu tun hatte, habe ich das als reine Zweckgemeinschaft wahrgenommen.

3) Nein. vermittelt wurde meistens, dass man eine hilfsbedürftige arme Sau ist, in gesellschaftlichen Kontext hat das bei mir niemand gebracht.

viele Grüße
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mikel015
Foren-Guru
Foren-Guru


Anmeldungsdatum: 27.03.2015
Beiträge: 4068

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 14:37    Titel: Antworten mit Zitat

HI;
also was "Praxx" da so geschrieben hat ,kann ich nur absolut bestätigen.woher der mann so seine Infos hat,unglaublich.
zu mir:
ich bin jetzt 56 jahre jung und habe mitlerweile über 40 jahre opiaterfahrung und habe 1974-75 mit dem junken angefangen.
wie "Praxx" schon richtig erwähnte,habe auch ich meine ersten Druck mit "Berliner Tinke" gemacht.die Dealer liefen mit Colaflaschen voll Tinke auf der Scene rum und verticken-meterweise-! 1Meter -10 DM.
heroin war damals seltener zu bekommen.Als ich dann angefangen habe mit H
kannten wir keine Zitrone zum auflösen,das kamm erst viel später und wir nannten die Shore "zitronen-ätisch"aus der türkei.Die shore (H) die damals angesagt war und mit der ich weitermachte kam aus China (China-Rocks)
"Praxx-"das mit den apothekeneinbrüchen hier in deutschland-bis 1972- stimmt nicht ganz!Die Apothekeneinbrüche gingen erst so richtig zwischen 75-78 los und das hatte auch einen grund! ich weiss die historischen zusammenhänge nicht mehr so genau, aber auf jeden fall gaben die holländer damals eine holländische Kolonie an China zurück und die holländer fingen an die Chinesen in holland auszuweisen.Die Chinesen hatten damals den Heroinmarkt fest in der Hand. ich habe selber damals in Amsterdam von Chinesen gekauft.
in Holland und speziell in amsterdamm fing dann ein regelrechter drogenkrieg an,denn die schwarzafrikaner drängten jetzt auf den Markt. ich kann euch sagen,da ging richtig die Post ab!an einem tag lagen ein paar tote chinsen in der Gracht,am nächsten dann ein paar tote bimbos.keiner verkaufte zu der zeit noch shore in amsterdamm und alle hatten schiss.der heroinpreis schoss von 100 DM das Gramm auf 800-1000 DM in die höhe.
in meiner Heimatstadt waren alle die ich kannte drauf und es gab nichts mehr oder zu teuer-echt übel. dann fingen wir an Apos zu knacken und damals waren die Sicherheitsbestimmungen nicht so wie heute-BTM in Tresore usw.-
die Betäubungsmittel waren teilweise in einfache holz oder blechschränke verschlossen und teilweise stand dann auch noch "Tabula C" drauf,also keine grossartige suche mehr.wir holten dann Opiate wie dilaudit,dicodit,eukodal,pantopon,
morhpin,jetrium und palfium,cocainhydroclorit usw. raus.
die APO-shore tat es dann auch bis sich der H-markt in Holland wieder beruhigte.
ich habe jetzt mal so einbischen erzählt wie es damals so war und ich könnte nach 40 jahren ganze bücher füllen .
also @lollalolla wenn du spezielle fragen hast,vielleicht kann ich dir ja weiterhelfen.
so Long
mikel
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Los Fritzos
Gold-User
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Anmeldungsdatum: 08.09.2015
Beiträge: 982

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 15:41    Titel: Antworten mit Zitat

lollalolla hat Folgendes geschrieben:


@Los Fritzos: ehrlich gesagt, finde ich die Krankheitsthese auch nicht unproblematisch. In der Gesellschaft (und zwar überall, nicht nur in Deutschland oder in Westeuropa) existiert dieses Bild eines nicht zur Vernunft fähigen Süchtigen. Und ich glaube, dass dieses Bild auch die Süchtigen selbst prägt. Ohne jedoch jemals Opiate konsumiert zu haben... Jedenfalls glaube ich, dass dieses Image vorhanden ist, um die Unzuverlässigkeit von Abhängigen deutlicher zu machen und ihnen zugleich einen kleinen Trost zu spenden - eigentlich können sie wenig dafür, sie haben es außer Kontrolle. Ich weiß es nicht, hast du dich jemals mit der Szene identifiziert?

Ich würde mich wirklich um mehr Erfahrungsberichte freuen... Danke!


Ja, ich war damals aktiv in die Szene eingebunden. Aber ich sehe Sucht als Krankheit an, bzw. habe ich mich mit dem Gedanken krank zu sein abgefunden. Ob diese Definition richtig oder falsch ist, ist für mich eher nachrangig. Wenn Heroinsucht keine Krankheit wäre, wäre ich persönlich aufgeschmissen. Rechtlich gesehen könnte mir dann ja kein Arzt helfen.
Ich bin eigentlich jemand, der Sucht als einen völlig normalen Teil des menschlichen Lebens sieht. Ich glaube, dass jeder Mensch irgendwie süchtig ist, nur ist die Sucht sehr unterschiedlich gelagert. Jeder Mensch ist süchtig nach irgendwas, was ihn befriedigt. Nicht jede Sucht ist gefährlich oder gesellschaftlich unakzeptiert.
Jetzt widerspreche ich natürlich meiner eigenen Aussage, dass Sucht eine Krankheit ist, doch sag mir bitte, wie soll ich es sonst definieren?
Sucht ist vielleicht auch eher als etwas zu verstehen, was krank machen kann.
Aber wie soll man der Gesellschaft deutlich machen, dass der Heroinabhängige nur durch einen blöden Zufall süchtig geworden ist? Ist Sucht immer ein Ergebnis einer schlechten Kindheit oder einer anderen Erfahrung? Ich glaube nicht unbedingt. Es ist nicht unbedingt krank, wenn man etwas immer wieder haben will.
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lollalolla
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 25.05.2015
Beiträge: 24

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 18:07    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

vielen Dank für die ausführlichen Antworten, ich finde es unglaublich! Echt schade, dass man sich über das Forum nicht connecten kann, sonst würde ich total gern eine Oral History-Studie mit euch machen...

@mikel015: ich habe dennoch einpaar spezifische Fragen. Vorweg, dass, was Praxx behauptet für die frühem 1960er Jahre ist richtig, ich habe schon mehrere polizeiliche und gerichtliche Akte gesehen, die von solchen Einbrüchen zeugen. Das Klientel war jedoch ein anderes und nicht so sehr auf den großen Städten konzentriert.

Was mich jedoch stark beschäftigt, ist die Bewegung des Stoffes in den frühen 70ern. Was hat das Aufkommen von Heroin bzw. das, was wir in der Wissenschaft "Proletarisierung" des Konsums nennen, bedingt? (Proletarisierung meint, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt zunehmend Menschen aus eher nierdigeren Schichten Heroin konsumierten und es keine exquisite Salondroge mehr war). Direkt gefragt: Was kam als erstes: Die Nachfrage oder das Angebot? Hat sich erstmal ein harter Kern von Konsumenten gebildet, die immer mehr Stoff von außerhalb wollten oder erstmal kam der Stoff aus dem Ausland und erst dann bildete sich die mehr oder weniger feste Konsumentengruppe?

Die Antwort auf diese Frage ist sehr entscheidend, denn das würde einiges in der Drogenpolitik in den 70ern und 80ern erklären. Was ist anders gewesen 1972/73..? Die Studentenproteste haben sich gelegt, man ging seinen Weg und manche blieben kleben. Das ist aber eine viel zu einfache Erklärung. Kam da plötzlich mehr Stoff aufgrund politischen und ökonomischen Verschiebungen auf der Weltkarte, oder versuchte man anders zu rebellieren, indem man sich in diesem feeling abschottete?

@Los Fritzos, ich bin nicht opiatensüchtig und man mag mir vorwerfen, dass ich so eine Studie gar nicht schreiben kann oder darf, weil ich es nicht nachempfinden kann. Nichtdestotrotz bin ich nach anderen Sachen süchtig, daher kann ich mich in deiner Interpretation sehr gut wiederfinden. Dennoch betrachte ich die Sucht als eine Entscheidung. Man weiß über die Folgen Bescheid oder spürt sie zumindest intuitiv und macht es trotzdem. Und das ist nicht verkehrt, denn man entscheidet immer innerhalb eines bestimmten moralischen Regelwerks und das führt dazu, dass die Entscheidungen auch unterschiedlich ausfallen. Darum ist die Welt facettenreich und schön.

Ich finde es falsch, dass Süchtige als Unzurechnungsfähig abgetan werden (denn Kranke können nicht so verantworten wie "normalos"). Als Süchtiger lebt man nach bestimmten Prinzipien, die im Falle von starken Betäubungssubstanzen mit den Zielen des Staates kollidieren (können), was den Ausschluß des Süchtigen zur Folge hat/haben kann. Ich rede hier als Geisteswissenschaftlerin und nicht als Juristin, denn das bin ich nicht. Selbstverständlich braucht man eine Behandlung, denn die psychischen und physischen Folgen sind ja offensichtlich. Und dennoch muss man dieses Konzept von Kranksein infrage stellen. Was Krankheit ist und was nicht, mag biologisch determiniert sein, aber die Grenzen vom Krank und Gesund sein sind auch immer kulturell aushandelbar. Die Tatsache, dass man nicht im Sinne einer Sozialökonomie des Staates tickt, sondern seinem Stoff hinterher rennt und nichts für die demographische Entwicklung beiträgt, macht aus keinem weder Abschaum noch ein Kranker.
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lollalolla
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Anmeldungsdatum: 25.05.2015
Beiträge: 24

BeitragVerfasst am: 29. Sep 2015 18:19    Titel: Antworten mit Zitat

Wu Zi Mu hat Folgendes geschrieben:
@Lolla
lustig, als ich die Überschrift gelesen habe war mein erster Gedanke "wie krass, jetzt kündigen die Leute es schon vorher an, wenn sie hier rumpöbeln wollen" Shocked

hhahah, ne, ich wollte niemanden dissen Smile

Wu Zi Mu hat Folgendes geschrieben:

1)Jein. Rebellion nicht wirklich, niemand in meinem Umfeld hat daran geglaubt, dass sich die Verhältnisse ändern werden, weil man Drogen konsumiert. Aber so als Abgrenzungsmerkmal oder stillen Protest vielleicht. wobei die ausschlaggebenden Gründe für den Konsum eindeutig hedonistischer Natur waren.
das galt aber nicht nur für Heroin sondern insbesondere auch für Cannabis.

Hatten die beiden Szenen denn irgendwie Konkakt? Denn heutzutage ist definitiv nicht der Fall, meine Freunde kriegen Gänsehaut allein schon bei der Erwähnung meines Themas...


Wu Zi Mu hat Folgendes geschrieben:

2)Die HartDrogenszene war nach meiner Erfahrung vorwiegend Mittel zum Zweck. Klar gab es auch Solidarisierungseffekte (wenn mal alle gut drauf waren) aber Gegenkultur würde für mich bedeuten, dass es zumindest sowas wie die Idee einer gemeinsamen "Vision" o.ä. gegeben hätte, das habe ich so aber nicht erlebt. habe da eingekauft und bin meist schnell wieder weg.
Auch später, als ich mit der Szene aus einem Arbeitskontext heraus zu tun hatte, habe ich das als reine Zweckgemeinschaft wahrgenommen.

Gegenkulturen haben meistens keine corporate identity, sondern sie werden eher im Nachhinein als Ideengemeinschaften betrachtet. Die Gammler der 50er/60er Jh hatten keine Weltfriendsvision, man definiert sie als eine Gegenkultur. Das tu ich gerade mit euch, ich hoffe, euch stört das nicht Laughing Laughing Laughing

Wie stark war man eigentlich untereinander vernetzt außerhalb des lokalen Kontextes? Ich meine, hat man sich die Entwicklungen in Großbritannien oder der Schweiz angeschau, hatte man gewöhnlich Konkate außerhalb der eigenen Szene?

Wu Zi Mu hat Folgendes geschrieben:

3) Nein. vermittelt wurde meistens, dass man eine hilfsbedürftige arme Sau ist, in gesellschaftlichen Kontext hat das bei mir niemand gebracht.

Also bist du aus deinem bürgerlichen Leben nie so richtig ausgetreten?

viele Grüße back
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Praxx
Foren-Guru
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Anmeldungsdatum: 25.07.2014
Beiträge: 3203

BeitragVerfasst am: 30. Sep 2015 00:23    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Lollalolla,
meine Kenntnisse entstammen meinem "sozialen Nahbereich", ich habe viele lange Gespräche geführt und viel gelernt in dieser Zeit.

Die "Proletarisierung" machte eine bis dahin recht kleine und vertraute Szene zu einem unübersichtliichen Gemenge. Alle paar Wochen saßen immer alle auf dem trockenen und wohnten ein paar Tage in der Badewanne - ein durchgehender Konsum über viele Monate war undenkbar. Anfang der 70er ging es dann schleichend los, es wurde immer mehr betrogen und gelinkt, aus Fixern wurden Junkies und verelendeten immer mehr und wurden am Äußeren erkennbar. Damals entstanden dann die ersten Selbsthilfeorganisationen von Eltern und auch von Betroffenen und die Drogenberatungsstellen entstanden.

Das Auftauchen von Heroin in D habe ich dann nur mehr aus der Zeitung mitbekommen.

LG

Praxx
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mattfällt
Silber-User
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Anmeldungsdatum: 19.05.2013
Beiträge: 237

BeitragVerfasst am: 30. Sep 2015 01:16    Titel: Antworten mit Zitat

Tja. Anfang der siebziger wurden ja auch die repressiven und stigmatisierenden Tendenzen immer extremer, deutlicher und wirkmächtiger. Der sog. legal approach verfestigt sich im Vergleich zu den Niederlanden oder auch England. Selbst anfangs liberale Tagespresse wie die Zeit ging auf Kurs ("und Haschisch schadet doch") Release Projekte gerieten immer mehr unter Druck, nicht zuletzt finanziell, aber zerfleischten sich zudem auch untereinander Konzeptbedingt.
Und: auch in der linksalternativen Szene ging man zunehmend auf Distanz zu Drogen - und vor allem Opiatgebrauchern. Die standen aus politischer Sicht nun im Verdacht des Eskapismus..und viele der zunehmend proletarischen Fixer wollten im Zweifel dann eben doch liebe einfach nur konsumieren, als gegen das kapitalistische System anzukämpfen, waren mit den studentisch politischen Anforderungen überfordert.
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