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Noa Anfänger
Anmeldungsdatum: 08.01.2016 Beiträge: 3
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Verfasst am: 8. Jan 2016 01:15 Titel: Zwischenbericht - BlancheNeige |
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Liebe Forengemeinde,
einige von euch kennen mich vielleicht noch, ich hieß zu Beginn 'Schneewittchen' auf Französisch. Mein erster Thread erstreckte sich über mehrere Monate und Seiten. Es ging um Heroin, Haltlosigkeit und mein pathologisches Helfersyndrom. Das war im Frühjahr 2012. Heute, beinahe 4 Jahre später, geht es mir gut. Ich hadere noch immer, das muss ich zugeben. Ich hadere mit mir und meinem Leben. Ihr kennt das. Ich hatte großes Glück. Außer geringe Schulden (Studienkredit, Energieversorger, Kreditkarte, Dispo) und ein verlorenes resp. verschwendetes Studienjahr hat mich die Abhängigkeit bisher nicht viel gekostet. Das liegt mit großer Wahrscheinlichkeit auch an meiner Familie, die mir oft aus brenzlichen Situationen half. Und obwohl es bei mir und meiner Suchtgeschichte verhältnismäßig glimpflich ablief, bin ich geschockt, wie sehr ich mich dieser Opiatlethargie und dem ganzen Drumherum hingegeben habe.
Zu meinem Schrecken habe ich alles, wirklich alles vernachlässigt, was es zu vernachlässigen gab.
Von ungeöffneten Rechnungen/Mahnungen/Gerichtsschreiben, über Uni/Job bis hin zur Körperpflege/Ernährung/Schlaf. Ganz zu schweigen von sozialen Kontakten. Für einige Monate war der Dealer mein einziger regelmäßiger Kontakt. Irgendwann bildete ich mir sogar ein, wir hätten eine freundschaftliche Beziehung zueinander. Das macht mich immer noch traurig und sprachlos. In meinem Kopf war nicht mehr viel los. Mein Geist, mein Intellekt - so schien es - hat sich jedesmal verabschiedet, wenn ich H konsumiert habe. Von der anfänglichen Euphorie und der (eingebildeten?) Kreativitätszunahme war nicht mehr viel übrig. Ganz im Gegenteil: ich empfand es als angenehm und befriedigend, mir stupide TV-Sendungen anzusehen und dabei 'wegzunodden'.
Manchmal schlief ich im Sitzen ein, befand mich in einem Dämmerzustand zwischen Wachsein und Schlaf und war vollkommen regungs-und beweglos. Dabei fiel mein Kopf ständig zur Seite und ich sabberte mich und mein Sofa voll. Das mag sich lustig lesen, im Grunde ist es aber einfach nur erniedrigend. Meine Periode hatte ich vielleicht 3x pro Jahr; das Wort 'Sex' löste bei mir Abneigung aus. Ebenso das Duschen/Baden. Wasser empfand ich als unerträglich auf meiner Haut. Im Dunkeln war ich fast blind - was vermutlich an meinen kleinen Pupillen lag, und außer auf Süßigkeiten hatte ich aufs nichts Appetit.
Die für mich schlimmste Zeit war die, in der ich Subutex zur Substitution erhielt und gleichzeitig Beikonsum hatte. Ich war aggressiv (paradox?), launisch und stumpf. Ich hasste Subutex von der ersten Einnahme an. Es widerte mich an. Meine Versuche, im Berufsleben Fuß zu fassen, stellten sich als schwierig dar. Meine Anstellung bei der Zeitung als Pauschalistin setzte ich täglich aufs Spiel.
Es kam häufig vor, dass ich in der Mittagspause zu meinem Dealer eilte, schwitzend, wie eine Gejagdte. Ich kam ständig zu spät und hielt Abgabetermine für Artikel nicht ein. Ich ließ außerdem zwei sehr große Chancen auf Festanstellungen sausen. Einmal saß ich heftig schwitzend vor der Personalerin und dem Chefredakteur. Mir lief es wie Wasser die Stirn herunter.
Ich musste mich dann, nach quälenden fünfzehn Minuten, unter einem Vorwand selbst aus dieser peinlichen Situation befreien. Selbstredend erhielt ich eine Absage. Inklusive einer längeren Mail des Redakteurs: er hatte bemerkt, dass etwas mit mir nicht 'stimme'. Und so zog mein Leben an mir vorbei, während ich mir einredete, alles im Griff zu haben. Opiatkonsumenten kennen diesen Selbstbetrug. Besonders H gibt einem das Gefühl, dass alles okay ist, easy peasy. Das sinkende Schiff, dass man zu high ist, zu verlassen.
Heute weiß ich es besser. Und dann doch wieder nicht. Subutex habe ich abgesetzt, in Eigenregie. Ich bin mal clean, mal nicht. Oft stört es mich, noch öfter stört es mich leider nicht. Ich genieße die opiatfreien Zeiten. Ich bin dann relativ gut gelaunt, aktiv, kreativ - und trotzdem fehlz etwas. Passe ich nicht auf, stehe ich schneller vor'm Dealer als mir lieb ist. Heroin ist soetwas wie meine pulversisierte Zwangshandlung. Mich langweilt die Wirkung bisweilen sogar. Aber der Geschmack (ich schniefe) und das ganze Drumherum: das Ritual, die Vertrautheit, geben mir Sicherheit und vermeintlichen Schutz. Schutz vor meinen Emotionen, vor meiner Verletzlichkeit. Schutz vor dem Leben. Meine Mutter sagte, dass es das wahre Leben ist, vor dem ich mich mittels Heroin zu verstecken versuche. Und sie hat Recht damit.
Ich hoffe, euch hat mein kleiner Zwischenbericht/meine Gedanken gefallen.
Es war mir ein Bedürfnis, mich nach all der Zeit mal wieder hier zu Wort zu melden. Einige von euch haben mir damals sehr geholfen.
Ich versuche, meine Cleanphasen in Zukunft zu verlängern. Sodass mein Leben bald nur noch aus Cleanphasen bestehen mag. Doch es ist so schwer. Was mir hilft, ist das Laufen sprich Joggen (sofern ich mich dazu aufraffen kann), das Schreiben und ein gewisses Maß an Spiritualität. Ich war nie religiös, glaubte nie an Übernatürliches. Mittlerweile gehe ich jeden Freitagabend zum Shabat in die Synagoge und nehme an Familienfeiern teil. Das war mir bisher immer zuwider. Und so schön das alles auch ist, bin ich mir dennoch bewusst, dass es auch wieder nur eine Art von Flucht ist. Realitätsflucht.
So long, ich freue mich über Feedback. Wie ist es euch ergangen? |
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Gaucho Platin-User


Anmeldungsdatum: 04.08.2015 Beiträge: 1031
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Verfasst am: 8. Jan 2016 02:42 Titel: |
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Ich habe zwar keine Erfahrung mit Heroin, aber dafür mit anderen pharmazeutischen oral konsumierten Opiaten.
Leider kann ich deine Darstellung für meinen Teil nicht unterschreiben, was vielleicht auch daran liegt, dass ich Opiate generell nur niedrig dosiere und nicht grob missbrauche. Mich machen diese daher eher aktiv und motivierter, sodass ich mich eher zu Dingen aufraffen kann, die ich sonst nicht machen würde.
Alles macht irgendwie mehr Spaß, auch der Sport. Von Lethargie, mangelnde Körperhygiene und Verblödung keine Spur. Ich bin höchstens genügsamer, bescheidener und erfreue mich an den einfachen Dingen des Lebens.
Der Mensch ist sonst nie zufrieden, will immer mehr. Karriere machen, neue Klamotten, viel Geld haben usw...auf Opiate wird all das irgendwie nebensächlich. Die Opioide geben mir sozusagen einen Ruhepol, man könnte meinen einen Zustand von Seeligkeit und Erleuchtung. Das ist es was für mich zählt.
Was ich nicht verstehe, warum Menschen den Opiaten immer die Schuld geben, obwohl sie offensichtlich nicht mit diesem Gottesgeschenk umgehen können. Ich würde dir empfehlen mal ein Paar spirituelle Werke zu lesen und nicht den bösen Drogen die Schuld zu geben.
Dein erster Fehler: Du hast das Heroin intravenös verabreicht.
Fehler Nr 2: Du hast jeden Tag konsumiert
Fehler Nr 3. Du hast das Heroin in hohen Dosen missbräuchlich verwendet
Fehler Nr 4: Du hast dich gehen lassen.
Fehler Nr 5: Du hast Heroin genommen. |
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nebukadnezar Foren-Guru


Anmeldungsdatum: 26.08.2015 Beiträge: 4294
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Verfasst am: 8. Jan 2016 07:21 Titel: |
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Hi Noa,
ich bin nach 20 J. H/K ,Methadon seit 1 J. clean. In vielen von dir
beschriebenen kann ich mich wiedererkennen, bzw. daran erinnern. Sind sie
doch symptomatisch für unsere H Sucht. Das du an einer Gemeinschaft
innerhalb einer Glaubensgemeinschaft
teilnimmst, finde ich gut. Neue und alte soziale aufbauen und wieder
aktivieren, helfen einen Weg aus diesem Sumpf zu finden. Ich bin zwar alles
andere als ein ein Kirchengänger oder Katholik, aber die Teilhabe an der
Gesellschaft ist Teil des normalen Lebens. Sich wieder für andere Menschen
interessieren, ihre Freuden, Sorgen teilen und diskutieren. Da muss ich auch
aktiver werden.
Hast du deinen Job noch? Was machst du als Pauschalist, eher journalistisch
oder
Fotograf? Stelle ich mir sehr interessant und kreativ vor und als Freiberufler,
kann man sich den Tag eben frei organisieren, hängt natürlich sicher auch von
den Aufgaben ab.
Ich war auch lange selbstständig und zuletzt als Angestellter hauptsächlich im Aussendienst,
allerdings im kaufmännisch/technischen Bereich und habe es genossen, mehr oder weniger mein eigener Herr
zu sein und meinen Tag zu bestimmen.
LG N |
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CrazyMan Platin-User


Anmeldungsdatum: 15.01.2010 Beiträge: 2110
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Verfasst am: 15. Jan 2016 20:49 Titel: |
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Alles was du geschrieben hast, stimmt für dir meisten H-Abhängigen grundsätzlich. Dass du nun deine neue Interessen wieder mit Realitätsflucht in Verbindung bringst, kann ich als einziges nicht nachvollziehen.
Jeder soll nach seiner Facon glücklich werden. Wenn dir etwa der Glaube etwas gibt, dann ist das doch gut. Und überhaupt lebst du, anstatt das Leben vorbei ziehen zu lassen. Du nimmst das Leben aktiv wahr, anstatt es passiv vollständig zu ignorieren. Eine Realitätsflucht vermag ich darin nicht zu entdecken. So wären nicht auch alle regelmäßigen Kirchengänger Flüchtige vor der Realität? Zumal der Glaube ja nun auch nicht 24 Stunden des Tages in Anspruch nimmt.
Nein, ich denke, du machst das richtig und wünsche dir, dass du noch mehr Aktivitäten zur, wie du meinst, "Realitätsflucht" findest. Versuche doch mal, in aktiv und passiv zu unterscheiden. H ist absolut passiv, abgesehen von den Gängen zur Quelle, einem vermeintlich freundschaftlichen Verhältnis - versucht man wohlmöglich nur, Wohlgesonnenheit zu wecken, immerhin besteht eine Abhängigkeit zur Person - und dem Konsum. Und wenn du nur faul vorm TV hängst - ohne H - ist das aktiver als unter Einfluss von diesem Opiat. Das gesamte Erleben, dein Bewusstsein, die Sinne und dein Denken sowie die Kreativität sind frei, während all dies unter H gelähmt und lethargisch unterdrückt wird.
Viele können dich beneiden für deinen neuen Weg. Wenn es beneidet werden kann, muss es einen Wert haben. Viel Erfolg weiterhin! |
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