An Praxx, eine Frage: Diagnosekriterien?

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simbalabum
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Anmeldungsdatum: 13.10.2015
Beiträge: 44

BeitragVerfasst am: 13. Aug 2017 07:49    Titel: An Praxx, eine Frage: Diagnosekriterien? Antworten mit Zitat

Hallo Praxx!

Da Du, wie man hier ja schnell mitbekommt, Arzt bist, und gleichzeitig doch alles 'schön anonym' ist...

Ich bin substituiert, als Selbstzahler. Entsprechend kriege ich meine Rechnung persönlich, die wird nirgendwohin geschickt, es sei denn, von mir. Rezeptblatt II/Deckblatt kriege ich entspr. quittiert und gestempelt auch direkt zurück.
Jetzt steht auf meiner Rechnung neben der logischen F11.2 und ner 34.1, die ich bei der Eingangsanamnese selbst angegeben hab (fachärztlich behandelt), noch etwas, was mir schleierhaft ist.

Und zwar wurde mir noch eine 19.2 "verpasst". Anamnestisch kamen über die Jahrzehnte in der Tat quasi sämtliche Substanzen zusammen, waren aber weder in den letzten 3 Jahren, noch zu Beginn der Substitution aktuell noch, sind sie es jetzt (auch nachweislich anhand der UKs).
M.W. ist doch die 19.2 nur gerechtfertigt, wenn tatsächlich mehrfacher Missbrauch vorliegt und zudem noch, ohne dass ein spezieller Fokus festgestellt werden kann. In der Opiatzeit war aber noch genau Heroin aktuell. Nachdem ich am Anfang noch 2x die Woche 5-6 Bier getrunken hab (das klingt runtergerechnet und beschönigt, wenn man es mit Suchtpatienten zu tun hat, ich lese das da ja selbst raus. allerdings ist es tatsächlich so gewesen, öfter und mehr wollte ich schlichtweg nicht und habe auch nicht mehr/öfter getrunken), fiel das mit der Zeit komplett weg. Als ich in die Substitution gegangen bin, habe ich überhaupt keinen Alkohol mehr getrunken. Eine Behandlung findet von Anfang an nur auf die Opiatabhängigkeit statt, als Substitution eben, und ich trinke, wenn überhaupt, nicht mehr mehr als drei Biere, und das kommt wirklich nicht oft vor.

Ich finde die 11.2 schon schlimm genug, und die 19.2 einfach nicht gerechtfertigt. Da ich aber kein Mediziner bin und auch kein diagnostischer Praktiker - wie diagnostiziert sich die 19.2 denn alltäglich gebräuchlich wirklich? ICD und DSM lesen ist eins, der Alltag könnte ja trotzdem anders sein.


Hmm sorry, jetzt häng ich noch was dran. Du schriebst unlängst hier im Forum, es sei "wichtig, die Diagnose "F11.2" zu vermeiden, die wirst du sonst dein Leben lang nicht mehr los"; und 'bekannte Substis kriegen von Amts wegen den Führerschein entzogen' (sinngemäß).
Überlegung: Wenn ich als Selbstzahler bei der Substitutionspraxis bin, erfährt doch außer der, der beliefernden Apotheke und dem Substi-Register niemand davon, solange ich niemanden von der Schweigepflicht entbinde? Dann werde ich die Diagnose bei diesen Stellen nicht mehr los, aber solange ich es sonst niemandem anvertraue - ?
Um den Führerschein hab ich verständlicherweise auch so meine Sorgen, fahre z. Zt. auch nicht, schon aus Angst, der ganze Rattenschwanz könnte auffliegen.
Aber auf der Basis müsste es doch auch gehen, den über diese Zeit zu "retten"?
[mal angenommen, Substitution - abdosieren - clean. der seltene Idealfall. über die Realitätsnähe der Idee bitte grad nicht zu reden, die Frage geht mir jetzt echt nur um die "Geheimhaltung" der Diagnosen und das Behalten vom Führerschein; alles andere sprengt den Post und ich hab durchaus im Kopf, dass das kein Kikifax ist]

Vielen lieben Dank!
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Praxx
Foren-Guru
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Anmeldungsdatum: 25.07.2014
Beiträge: 3203

BeitragVerfasst am: 14. Aug 2017 20:25    Titel: Antworten mit Zitat

Aaaalsooo...

Nach dem wörtlichen Text der "International Classification od Deseases and other Health Problems" (ICD-10), darf die F19.2 nur codiert werden,

"wenn bei einem Konsum von zwei oder mehr psychotropen Substanzen nicht entschieden werden kann, welche Substanz die Störung ausgelöst hat, oder wenn nur eine oder keine der konsumierten Substanzen sicher identifiziert werden kann oder auch die Konsumenten nicht sicher wissen, was sie einnehmen"

Die F19.2 ist in den allermeisten Fällen FALSCH - du solltest auf Streichung bestehen!

Wenn ein Patient substituiert wird, erfahren das grundsätzlich nur Personen und Institutionen, die dem Berufsgeheimnis unterliegen und sich strafbar machen, wenn sie diese Information weitergeben. Beim Selbstzahler erfährt das außer Arzt und Apotheker nur das Gesundheitsamt, wo die Rezeptdurchschläge landen. Die "Bundesopiumstelle" erhält nur einen nicht rückverfolgbaren Code zur Vermeidung von Doppelsubstitutionen.

Wenn du NUR dein Substitutionsmittel nimmst (außer Morphin natürlich), kannst du in einer Verkehrskontrolle in aller Ruhe abpinkeln, rechtlich ist diese Kontrolle auf die Stoffe aus der "Anlage zu §24a StVG" beschränkt - da gehören Metha, Pola oder Buprenorphin NICHT dazu.

Eine Blutprobe dagegen wird auf ALLE bekannten Rauschmittel untersucht, AUCH Substitute und sonstige Arzneimittel.

Wie schon x-mal geschrieben, ist das Problem bei Substitutionspatienten nicht die "Fahrtauglichkeit", sondern die "Fahreignung".

Obwohl sichere Auswirkungen auf die "Fahrtauglichkeit" nur für Alkohol, Benzos und Barbiturate nachgewiesen sind, gelten bei uns "par ordre du moufti" alle Abhängigen und sonstigen Drogenkonsumenten wegen des stets drohenden Kontrollverlustes und damit der Gefahr, berauscht am Straßenverkehr teilzunehmen, GRUNDSÄTZLICH als "ungeeignet, am Straßenverkehr teilzunehmen" und müssen deshalb per MPU und sonstiger Schikanen NACHWEISEN, dass von ihnen im Straßenverkehr keine Gefahr (nehr) ausgeht!

Da nur "Abhängige" in den Genuss einer Substitutionsbehandlung kommen dürfen, schließen sich Substitution und Fahreignung aus!

Du begehst zwar keine Straftat, wenn du unter dem Einfluß deines Substituts am Straßenverkehr teilnimmst - aber wenn die Polizei bei dir Substitut oder ein Substi-Rezept findet, wird die FS-Stelle über "Zweifel an der Fahreignung" informiert und klemmt dir den Führerschein.

Auch jedes andere BtM-Strafverfahren führt zu diesem Ergebnis, selbst wenn du mit nur 0.01g Cannabis zu Fuß aufgegriffen wirst!(da war auch die Stelle als Grundschullehrerin gleich mit weg!)

LG

Praxx
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simbalabum
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 13.10.2015
Beiträge: 44

BeitragVerfasst am: 21. Aug 2017 04:56    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Praxx,

vielen Dank für die ausführliche Antwort!

ICD-10 und DSM-IV-R hatte ich eben schon konsultiert hinsichtlich der Kriterien, aber Buchtheorie und Praxis gehen eben manchmal auch auseinander oder liegen etwas im Auge des Diagnostikers (kodiert man ne 41.2 oder Depression und GAS separat...?).
Danke für deine Einschätzung, dass das meist falsch kodiert wird, und dass man sich da schon an den Wortlaut zu halten hat! Das ist mir mental eine wichtige, hilfreiche Rückendeckung.

Bzgl. Führerschein, Fahreignung, MPU - das werde ich dann wohl 'geheimhaltend' aussitzen müssen, bis ich den Lebensabschnitt hinter mich gebracht habe (oder auf ein nicht-Anlage-zu-24a-SgVG-Substitut gewechselt).
Danke auch da für die erschöpfenden Informationen bzgl. Berufsgeheimnis, Kontrollen usw.!


Interessehalber, Substitutionspatienten, die Berufskraftfahrer sind - wie 'rettet' ein Berufskraftfahrer seinen FS über Suchtzeit und Substitution?
Oder ist die MPU einfach keine ausreichend standardisierte Methode...
(Die Fälle wurden in der Diskussion um flexiblere TH-Regelungen in der BtmVV als Beispiel aufgeführt für Patienten, die nicht immer regelmäßig wöchentlich erscheinen können; wenn ich mich richtig erinnere, hab ich das bei der DGSuchtmedizin gelesen.)

Morphin-Substituierte haben wohl nur die Chance, einen verständigen Behandler zu finden, der anstelle des Substitutions-Behandlungsausweises einen Opioid-Ausweis (wie) für Schmerzpatienten ausstellt, wenn sie 'gefahrlos' Autofahren wollen oder müssen.

Offtopic:
"Teilnahme am Straßenverkehr" - genau genommen würde ich gerne wissen, wie man das überhaupt vermeiden soll, wenn man nicht im Wald wohnt. Auch wenn ich nicht motorisiert bin, nehme ich zu Fuß oder mit dem Rad am Verkehr teil und kann da spätestens mittelbar, wenn mir andere ausweichen (müssen) den Verkehr auch erheblich gefährden; und selbst ein randalierender Fahrgast im Bus..
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simbalabum
Bronze-User
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Anmeldungsdatum: 13.10.2015
Beiträge: 44

BeitragVerfasst am: 21. Aug 2017 05:38    Titel: Antworten mit Zitat

oh.
ab "Interessehalber" bitte einfach ignorieren.
hab grade den "Opi-Ausweis im Straßenverkehr"-Thread wieder gefunden - hatte das mit einigen anderen Lektüren vermischt Embarassed, aber da steht ja auch schon alles.
kommt davon, wenn ich in zu kurzer Zeit zu viel lese, dann sind die Infos alle da, aber nicht mehr, was ich wann wo genau gelesen hab... sorry.
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