seit 2 1/2 monaten trocken

[worstcase]

hallo!
ich verfolge dieses forum schon eine zeit lang, habe mich aber irgendwie nie getraut, hineinzuschreiben...
naja, heute probier ich es mal:
ich bin 26 jahre alt und alkoholikerin. ich hatte vor einigen jahren einen schweren entzug, nachdem ich zusammengeklappt bin und eine zeit lang auf den intensivstation verbringen musste, weil mein körper nicht mehr mitmachte. darauf folgten mehrere therapien, die mir zwar zeigten, was ich in meinem leben wieder in ordnung bringen und anders machen muss, aber ich konnte doch nie ganz vom alkohol loskommen. immer wieder fing ich an zu trinken- gottseidank nie lange genug, um wieder so drauf zu sein, wie zu meinen schlimmsten zeiten. (ich bin spiegeltrinker und habe über lange zeit durchschnittlich 1l vodka pro tag getrunken) ich hatte immer wieder leute um mich, die mir helfen wollten, ich habe diese hilfe auch oft angenommen (sowohl verschiedenste therapien, ambulant und stationär, als auch unterstützung von familie und freunden), aber ich schaffte es nie, für längere zeit alleine durchzuhalten.
dieses jahr im frühling hatte ich erstmals das gefühl: es geht wieder bergauf. ich fühlte mich endlich mal wieder halwegs selbstsicher, ab und zu auch fröhlich und mit mir ein bisschen mehr im reinen als sonst.
das lief dann eine zeit lang ganz gut, bis ich vor lauter übermut doch wieder zur flasche gegriffen habe......
an das, was in den darauffolgenden 2 wochen geschehen ist kann ich mich nur schemenhaft erinnern, da ich dauernd getrunken habe. meine stimmung ist ins absolut bodenlose gestürzt und ich fühlte mich einfach nur wie das allerletzte.

ich bin dann im krankenhaus auf der intensivstation aufgewacht, als ich extubiert wurde.
ich kann mich nur noch dunkel daran erinnern, dass ich mir gedacht habe, dass mein leben keinen sinn mehr hat und ich endlich frieden will. anscheinend habe ich dann eine überdosis tabletten geschluckt, mich noch mehr betrunken und bin im park kollabiert. ich kann mich an das alles nicht erinnern.
dort wurde ich nach etwa 10 stunden gefunden. abgesehen von der überdosis wäre ich auch fast an unterkühlung gestorben, ich hatte nur noch eine körpertemperatur von 29 grad.
nach 2 tagen im künstlichen tiefschlaf bin ich, wie gesagt, aufgewacht....das war der schlimmste moment meines lebens. ich wusste nichts mehr. weder wo ich war, noch was passiert ist...ich hatte das gefühl, in einem albtraum gefangen zu sein, hatte aufgrund der entgiftung halluzinationen und wusste nicht mehr, was echt ist und was nicht. dabei hatte ich die ganze zeit aber das gefühl, völlig klaren verstandes zu sein...

naja, das war meine horrorstory...
ich habe das jetzt nur geschrieben, weil ich erklären will, wieso ich im moment so stolz auf mich bin:
dieser oben beschriebene vorfall hat mich zutiefst geschockt. irgendwie war mir plötzlich klar, was ich eh schon längst hätte checken müssen: entweder du lebst dein leben oder du trinkst weiter und dann ist es beim nächsten mal wirklich aus. ich bin eigentlich ein lebensfroher mensch, aber in dem moment, als ich die tabletten schluckte, da wollte ich sterben, weil ich keinen sinn in allem mehr sah. ich weiss, dass dieses gefühl wiederkommt, sobald ich wieder trinke und es nicht schaffe, aufzuhören.

seit diesem vorfall sind 2 1/2 monate vergangen und ich habe keinen einzigen schluck getrunken. ich habe das gefühl, mir ist eine zweite chance geschenkt worden und die sollte ich nutzen.
und bis jetzt geht es sowohl beruflich als auch von meiner stimmung und lebensfreude stetig bergauf. ich fasse wieder fuss in meinem leben und fühle mich so wohl wie schon seit jahren nicht mehr. natürlich gab es schon öfters situationen, die schwieriger zu bewältigen waren oder stimmungstiefs und so. aber ich habe es wirklich geschafft, diese ohne alk zu meistern.
ich hoffe so sehr, diese irre starke motivation, die ich seit 2 1/2 monaten plötzlich in mir habe, bleibt und ich schaffe es weiterhin. ich arbeite auf jeden fall dran und bin auch regelmäßig in therapie.

ich wünsche allen anderen viel durchhaltevermögen, glück und motivation.

[anja]

Hallo worstcase
Echt heftig was Du erlebt hast. Ich denke dies mußte alles so passieren,damit wurden Dir die Augen geöffnet.Damit wurde Dir eine zweite Chance geschenkt.Und nun nutze sie.Mir ging es ähnlich,bin nun fast 2 Jahre trocken.Habe mit 14 J .schon angefangen zu trinken,allerdings habe ich nicht nur getrunken sondern so ziemlich alles konsumiert was ich bekommen konnte.Aber nichts ist so furchtbar wie Alkohol, nichts verändert Deine Persöhnlichkeit so sehr.Ich war aggressiv,bösartig,habe den Menschen die ich am meisten liebe so viel Leid zugefügt. Am Ende hatte ich alles verloren.Meine Etern wollten nichts mehr mit mir zu tun haben,mein Sohn hatte Angst vor mir.Auto totalschaden,Job verloren,Wohnung verloren, Freund schluß gemacht.Ich war ganz alleine ,am Boden zerstört.Ich sah keinen Sinn mehr in meinem Leben,ich hasste mich so sehr.Ich kam an einen Punkt wo mir klar wurde, entweder entgiften ,Therapie und aufhören oder totsaufen.Ich habe mich für das Leben entschieden.Ich bin so froh und stolz auf mich. Nun habe ich zu allen wieder ein gutes Verhältniss und sogar mein Freund ist nach meiner Therapie wieder zurück gekommen. Nein echt, ich lebe wieder,es ist alles anders.Warum kam ich nicht schon viel früher zu dieser Einsicht? Keine Ahnung,es mußte wohl alles so passieren,sonst hätte ich es nie geschnallt, so wie bei Dir auch. Du mußt an Dich glauben,auch wenn es noch so hart ist das Leben manchmal. Jede schwierige Situation die Du ohne Alk meisterst, wird Dich stärker und Selbstbewuster machen. Schon alleine das man wieder in den Spiegel schauen kann ohne schlechtes Gewissen.Und das was Du darin siehst,Dein Aussehen,ist doch ein ganz anderes Bild, oder? Nein ich will nie mehr Filmrisse haben,ich möchte nie mehr so dicht sein das ich nicht mehr weiß was ich tue.
Nimmst Du irgendein Antideppresiva oder Stimmungsaufheller?Würde ich Dir schon raten.Ich hoffe Du schaffst das und hast Menschen die Dich unterstützen, das ist wichtig.Ohne die Liebe meiner Familie hätte ich null Lebenswille mehr gehabt.
Wünsch Dir wirklich viel Kraft, Du packst das O.K.
L.G.
Anja

[worstcase]

Hallo anja!
danke für deine antwort!
du hast echt meinen allergrößten respekt dafür, dass du das geschafft hast. ich freu mich für dich, dass du auch zu deiner familie wieder ein gutes verhältnis aufbauen konntest- das ist echt wichtig. ich hoffe, dass auch die beziehung zu deinem sohn wieder ok ist?!
hm...schon komisch, dass manche leute wirklich am endpunkt stehen müssen, um es endlich zu checken. auch wenn das, was passiert ist, echt schlimm war,...ich habe das gefühl, es war das beste, was mir passieren konnte.

das klingt jetzt vielleicht blöd, aber die letzten zwei tage habe ich mich kaum getraut, ins forum zu schauen. es ist so komisch, das zu lesen, was ich selber geschrieben habe... Das war das erste mal, dass ich das alles aufgeschrieben habe, ausser mit meiner therapeutin habe ich auch mit niemandem über den vorfall im september gesprochen. aber es hat wirklich gut getan und ich freu mich umso mehr, dass du geantwortet hast.
es tut gut zu wissen, dass man mit seinen gedanken und problemen nicht allein ist!
zu deiner frage: ja, ich nehme antidepressiva und bin, glaube ich, ziemlich gut eingestellt. meine therapeutin arbeitet in der sucht-klinik, in der ich stationär war, und ich werde dort weiterhin auch medikamentös betreut.

du hast recht, ein blick in den spiegel ist ein völlig neues gefühl
nein ernsthaft...erstens merke ich erst jetzt, wie grausslich ich teilweise ausgeschaut habe, wenn ich getrunken habe. und ausserdem schaue ich jetzt wieder gerne hinein. (meistens zumindest ) ich habe ja schon immer absichtlich weggeschaut, wenn ich einen spiegel gesehen habe, weil ich mir selbst nicht mehr in die augen sehen konnte. man kommt durch das trinken in so einen teufelskreis aus schuldgefühlen und selbsthass.
es ist ein schönes gefühl, sich selbst zu sehen und das zu mögen, was man sieht.

ich wünsch dir noch einen schönen sonntag abend!
liebe grüße,
karo

[Gast]

Hallo
Ja ich sah auch furchtbar aus in meiner Kampfdrinkzeit.Fett, aufgedunsen,meine Augen rot unterlaufen.Ich hatte keine vernünftigen Klamotten mehr, da ich mein ganzes Geld versoffen habe. In Therapie habe ich angefangen Sport zu machen und wenig zu essen. Habe ca. 20 kg abgenommen in 4 Monaten.Ich fühle mich wieder richtig wohl in meiner Haut.Und nun kaufe ich mir von dem Geld was früher alles für den Suff drauf ging, immer wieder mal was schönes zum anziehen.Das ist wichtig, das man sich nun auch mal was gönnt und sich selbst belohnt.Ich bin auch froh, dass alles so gekommen ist.Es hatte alles auch was Gutes,ich habe gelernt mit sehr wenig, zufrieden zu sein.Was nützt mir Geld, ein tolles Auto,neue Möbel und all das.Nein die Gesundheit ist das wichtigste und die Menschen die man liebt. Zu meinem Sohn habe ich nun wieder ein gutes Verhälltniss, hat aber ne Zeit lang gedauert, bis er wieder Vertrauen zu mir aufbauen konnte.Nein das alles will ich nie mehr zerstören.
Ich hoffe sehr, das auch Du es schaffst
Alles Liebe
anja

[anja]

obriger Beitrag war von mir, habe vergessen mich einzuloggen

[Zornbrocken]

huhu karo,

nun nur noch ganz kurz - will dir sagen, hab's gelesen und fast geheult!!!

das iss ja ne richtig krasse scheisse, vor allem, wo du ein sooooo netter mensch bist --> darf ich denn fragen, wie das trinken bei dir angefangen hatte? wie lange du getrunken hattest und wieso genau? musst du mir natürlich nicht beantworten oder wenn du's nich öffentlich willst, dann gern PN, aber gerade bei dir fällt es mir so verdammt schwer, mir vorzustellen, dass du bis vor einem halben jahr so doll gtrunken hast?!

deine ganze persönlichkeit hat so überhaupt nix von einem alkoholiker, oder naja gut, wen kenne ich schon groß im trockenen zustand? meinen leiblichen vater, und auch er besitzt wirklich 2 vollständig verschiedene persönlichkeiten. wenn er seine trinkphasen hat, kann er ein echtes ekel werden, er zieht sich zurück, er lügt, er pflegt sich nicht, er lässt sich wochenlang nicht blicken und wenn, dann wird er vielen menschen gegenüber ausfallend, belidigend usw. hat er eine cleanphase, ist er ein sehr wunderbarer mensch, mit dem man sich gern abgibt, er sieht gut aus, er ist sehr gebildet und man kann sich ausgesprochen gut mit ihm unterhalten, über alles. ausserdem hat er einen wunderbaren humor und ist dann sehr charmant - sozusagen also sein genaues gegenteil von sich im betrunkenen zustand!

naja zurück zu dir karo. für mich bist du eine der nettesten personen hier im forum, und ich habe immer das gefühl, deine worte sind wirklich ernst gemeint, du fühlst wirklich mit anderen hier mit, nicht wie viele andere.

ganz oft hast du mir mit wenigen sätzen schon eine große freude gemacht, eben weil du so unendlich herzlich bist und ich hab dich echt total gern, das ist kein scheiss.

mir tut das soooo leid, was dir passiert ist, aber irgendwo glaube ich auch, dass dir eine 2. chance gegeben wurde. wer weiss, vielleicht hattest du ja sogar eine nahtoderfahrung, an die du dich nicht mehr erinnern kannst, aber irgendwas ist passiert, in dir drin ist seitdem etwas anders. du wurdest vielleicht "gesegnet" und deine seele hat in der nahtoderfahrung kontakt zu deinem höheren selbst gehabt (oder verwandten seelen), deine seele erinnerte sich ihrer wahren aufgabe in diesem leben bzw. dein leben bisher musste genau so (scheisse) verlaufen, damit du zu dem menschen mit genau den erfahrngen werden konntest, der du heute bist - wer weiß, wofür das eines tages gut sein wird, wer weiß, vielleicht hilfst du in ein paar jahren anderen alkoholikern aktiv und machst mut, vielleicht ist auch das dein schicksal: deine persönliche geschichte zu verbreiten und anderen mut zu machen, denn geschichten wie deine sind die, die die herzen rühren und die man als wunder sehen kann, denn du hättest genauso gut auch sterben können, nach so vielen stunden im park, mit der überdosis tabletten, dem ganzen alk und der unterkühlung auf 29°C --> aber du hast überlebt und dieses wunder hat in dir alles verändert, du lebst und liebst das leben plötzlich, nimmst es für dich an. das ist wunderbar und ich glaube fest, solche geschichten werden ganz besonders anderen menschen, die in einer ähnlichen situation sind wie du damals, helfen und sie im inneren berühren.

ich drück dich ganz doll karo und hoffe, dass für dich nun im leben alles so weit glatt geht und du nicht diese positive energie für dich wieder verlierst

ach ja, übrigens: darf ich mal fragen, welches sternbild du bist und ob du an astrologie glaubst?

wiwi und bis bald

[worstcase]

huhuu zornbrocken!
danke für die antwort! ich freue mich sehr über deine lieben worte! bin heute mies gelaunt aufgewacht, hatte nach einer fast schlaflosen nacht meinen wecker fast überhört. aber jetzt freu ich mich gerade ur, dass ich das von dir lese....also danke für die rettung von meiner stimmung!!!
ich werde dir heut abend ausführlicher schreiben, muss jetzt gleich weg. wollte nur kurz sagen, dass es beim alkoholismus mehrere "arten" von trinkern gibt: zb quartalstrinker, rauschtrinker, spiegeltrinker, gesellschaftstrinker...
ausserdem werden, glaube ich, je nach "grundpersönlichkeit" auch verschiedenste facetten eines menschen geweckt oder besser gesagt dominant, wenn er trinkt. ich war nie so der aggressive typ. habe alk eher dazu verwendet, mich selbst besser auszuhalten und meine leistung zu steigern.
ich glaube, du bist durch das anscheinend sehr furchtbare beispiel aus deiner familie geprägt...das sind ja auch die trinker, die man sieht oder kennt. genauso wie die heruntergekommenen obdachlosen auf der strasse. ich war selbst erstaunt, als ich in einer suchtklinik war, dass dort der grossteil der weiblichen patienten nicht wie "alkoholiker ausschaute". gerade frauen sind oft die, die ihre sucht über jahre oder jahrzehnte geheim und versteckt halten, heimlich trinken....wenn es dann "rauskommt" sind alle entsetzt und überrascht...

...o mann...ich schreibe schon wieder viel zu lang. sorry, trotzdem am abend mehr. muss jetzt echt los.
glg und ein knuddel! karo